Illustration: Gizem Güvendaǧ

Illustration/Çizim: Gizem Güvendaǧ

Bizim Veedel - Kurzfilmprojekt in Ehrenfeld

Der Stadtteil Ehrenfeld in Köln blickt auf eine bewegte Geschichte zurück – vom ehemaligen Industriestandort und Arbeiter*innen-Viertel bis zum heutigen bunten und hippen Szeneviertel – das Viertel ist Heimat vieler Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Lebensentwürfen. Ein Ort, der viele Heimaten in sich birgt. Ehrenfeld ist stark geprägt durch eine Gemeinschaft mit einem Hintergrund in der Türkei: Ab dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei im Jahr 1961 sind zahlreiche Menschen mit vielfältigen Hintergründen aus der Türkei auch nach Köln-Ehrenfeld gekommen und hier ansässig geworden. Ihre Kinder wurden hier geboren, sind hier zur Schule gegangen, manche sind im Sommerurlaub zur Familie in die Türkei gefahren, und alle haben sie sich zwischen hier und dort ein Leben aufgebaut, das jede*r anders gestaltet. 

Projektidee 

Die Idee hinter der filmischen Spurensuche von „Bizim Veedel“ ist es, Menschen, die zu unterschiedlichen Zeiten und aus verschiedenen Gründen aus der Türkei ausgereist sind, um sich eine neue Zukunft in Deutschland aufzubauen (oder umgekehrt), in den Dialog zu bringen. Unsere Gruppe hat sich zusammengefunden aus Personen, die in Ehrenfeld wohnen oder sich mit dem Veedel verbunden fühlen, und die gleichzeitig einen Bezug zur Türkei haben – sei es, dass sie von dort aus neu hier angekommen sind, in zweiter, dritter Generation in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, oder auch einen längeren Aufenthalt in der Türkei hinter sich haben. Uns verbindet das Interesse daran, sich mit dem Heimatbegriff fernab von politischer Instrumentalisierung von rechts auf einer sehr viel persönlicheren Ebene auseinanderzusetzen und individuelle Bedeutungen von „Heimat” zu erkunden: Was waren und sind die Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Gestaltung einer neuen Heimat in der Ferne, alltäglich, emotional? Was können wir mit unseren unterschiedlichen Erfahrungen voneinander lernen?

Rund um Gedanken wie diese haben wir unser Viertel, „bizim Veedel”, filmisch erkundet. Wir haben uns ausgetauscht, diskutiert, und an verschiedenen Filmideen gearbeitet, die auf ganz individuelle Weise über verschiedene Wege der Heimatsuche, -gestaltung und Erinnerung erzählen. Auch die Umsetzungsformen sind vielfältig: Filmischer Essay, Dokumentation, Fiktion – alles war und alles ist möglich. 

DIE WORKSHOPS:

1. Workshop: Samstag, 06. April – Sonntag, 07. April 2019, jeweils 10:00 – 18:00 Uhr

2. Workshop: Samstag, 04. Mai – Sonntag, 05. Mai 2019, jeweils 10:00 – 18:00 Uhr

So haben wir begonnen: „Bizim Veedel” – Was heißt das überhaupt? 

‘Bizim’ ist Türkisch für ‘Unser’, ‘Veedel’ heißt ‘Stadtviertel’ auf Kölsch. Wir haben uns über Ehrenfeld als unser Veedel ausgetauscht: Was verbindet uns mit dem Viertel? Was würden wir als ‘Kölsch’, was als ‘Türkisch’ bezeichnen? Wo sind bizim/ unsere Orte in Ehrenfeld? Wie können wir Heimat eigentlich auf Türkisch übersetzen? Yurt, memleket, vatan, … – Jedes dieser Worte hat andere Konnotationen, und das deutsche Wort ‘Heimat’ kann selbst auch verschiedene haben. Eine Übersetzung ist also gar nicht so einfach! Es gibt aber auch deutsche Wörter, die sich aus der Türkei kommende Gastarbeiter*innen angeeignet und für ihren Kontext umgedeutet haben: haymat (TR) und Heimat (D), haymatloz (TR) und heimatlos (D).

Wie machen wir uns Orte zu Eigen, zu unserer Heimat? Was soll Heimat überhaupt sein? Und wer oder was macht Heimat eigentlich aus? Ein Land? Ein Ort? Geliebte Menschen? Sprachen? Findet man sie in einem Glas Tee, in Musik, in Filmen? Fliegt sie im Duft von türkischem Essen durch die Ehrenfelder Straßen? Vielleicht ist Heimat für mich nicht die Türkei, sondern die Stadt in Deutschland, in der ich gelebt habe, bevor ich nach Köln gekommen bin. Vielleicht ist Heimat kein Ort, sondern ein Gefühl? Über diese Fragen kann man lange diskutieren und nachdenken – die Antworten werden immer sehr individuell ausfallen.

Ein Besuch bei DOMiD e.V. (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V.) 

Der gemeinsame Besuch des Archivs zur Migrationsgeschichte von DOMiD e.V. war ein wichtiger Baustein der Ideenfindung für unsere Filmprojekte und gab Impulse, wie wir uns über Begriffe wie Migration und Heimat austauschen können. Von Dr. Robert Fuchs haben wir hier viel Neues über Migration nach und auch aus Deutschland gelernt: Ist das heute so beliebte Grillen im Park eine Praxis, die eigentlich von Migrant*innen aus der Türkei, Portugal etc. angestoßen wurde? Wie verändern sich Debatten über die Drohkulissen von Ghettoisierung in Deutschland, wenn man den Fakt bedenkt, das deutsche Auswanderer*innen sich in den USA zunächst nicht integrieren und lieber unter sich bleiben wollten? 

Wir entdeckten im Archiv zahlreiche Objekte, die ihre ganz eigenen Geschichten erzählen – von Migration als einem individuellen Prozess voller intimer, bisweilen frustrierender, aber auch erfolgsgekrönter Erfahrungsmomente: Was auf den ersten Blick nur ein kunstfertig geschneidertes Kleid ist, verändert seine Bedeutung, wenn man hört, dass es das erste im Ankunftsland gefertigte Werk einer Schneiderin ist. 

Dinge oder Situationen erhalten ihren besonderen Wert dadurch, dass wir die Geschichte(n) und Lebenswelten kennenlernen, die dahinter stehen –  so beginnt auch der Entstehungsprozess eines Films mit einer Idee von einer Geschichte: Kurzfilmen wohnt die Macht und Magie inne, durch das Porträtieren von Objekten, Orten und Menschen ganz persönliche Geschichten erzählen zu können – für uns selbst und für andere. 

„Da vorne kann man echt gut essen” – „Und hier lege ich manchmal als DJ auf” 

Unser Community Mapping in Ehrenfeld 

Community Mapping, das ist eigentlich eine Methode aus der partizipativen Forschung (siehe z.B. den Ansatz Community-Based Participatory Research). Sie hat die Stärke, dass nicht eine Person andere erforscht, sondern Menschen, die sich als eine community (Gemeinschaft) begreifen, einen gemeinsamen Lebensraum erforschen und dabei in einen fruchtbaren Austausch kommen. Wir haben uns die Methode zu Eigen gemacht, um uns besser gegenseitig zeigen und erzählen zu können, inwiefern Ehrenfeld für uns wichtig ist: Welche Orte besuchen wir gerne und oft? Welche Orte vermissen wir heute im Stadtbild, die wir noch von früher kennen? Welche persönlichen Geschichten verbinden einzelne von uns mit einer großen Graffitiwand, einem Hostel, einer linken Kneipe, einem in einer Seitenstraße versteckten Park? Zur Beantwortung dieser Fragen streiften wir bei strahlendem Sonnenschein gemeinsam auf Entdeckungstour durchs Veedel und machten hier und dort Halt, um über „unsere” Orte zu sprechen. Wir lernten aber auch neue Ecken kennen: Zum Beispiel wurden wir in ein türkisches Café, in dem vorher noch niemand von uns gewesen war, auf einen Tee hereingebeten. 

Am Ende unserer Entdeckungstour zeichneten wir gemeinsam eine Karte von Ehrenfeld, wie es sich für uns darstellt: „Wo sind wir überall gewesen?” – „Wer wusste noch mal was über das ehemals besetzte Haus?” – „Was hatten wir an diesem Ort noch mal alles gesagt?” – „Wir haben noch jenen Ort vergessen, auf die Karte zu malen!”. Es ging uns nicht darum, das Stadtviertel geografisch korrekt zu kartografieren, sondern vielmehr die Orte zu porträtieren, an denen wir gewesen sind und über die wir gesprochen haben, und die Emotionen zu Papier zu bringen, die wir mit ihnen verbinden. Deswegen ist zum Beispiel das ehemalige Underground mit einem Kreuz versehen – der Abschied schmerzt einige von uns sehr. Sowohl das gemeinsame Anfertigen der Karte als auch das Endprodukt, das ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist, und die Basis für einen der Kurzfilme darstellt, halfen uns dabei, erste Anstöße für unsere eigenen Filme und Inspirationen für Drehorte zu finden. Gemeinsam diskutierten wir unsere ersten Filmideen und tauschten uns über Möglichkeiten aus, sie umzusetzen. Wie kann man Protagonist*innen finden? Wie geht man mit der rechtlichen Situation um, wenn man Musik in einen Film packen will? 

Eine Geschichte filmisch erzählen – Vom Storyboard zur technischen Umsetzung…

Der Regisseur und Drehbuchautor Halit Ruhat Yıldız war unser Gast und hat uns einen Einblick in seine Erfahrungen gegeben. Mit praktischen Tipps und Anekdoten aus der Filmwelt hat er uns inspiriert und geholfen, an unseren Projekten weiterzuarbeiten. Eren Bozbaş  hat ergänzend eine Einführung in Kameratechnik und Schnittprogramm gegeben. 

Wir haben uns gemeinsam über die Entwicklung unserer Storyboards ausgetauscht, was ist zu beachten beim Drehen? Wie weit sind wir mit unseren Recherchen gekommen? 

In einem anschließenden „open space”, oder „açık atölye” haben wir individuell und in Gruppen an unseren Projekten gearbeitet. Es wurde überlegt, geplant, gezeichnet, gefilmt, Tonaufnahmen gemacht und angefangen zu schneiden.

In einer individuellen Drehphase im Anschluss der gemeinsamen Workshops wurden unsere Filmideen in die Tat umgesetzt. Unterstützt durch die technische Expertise des Kameramanns Eren Bozbaş  und strategischer und künstlerischer Beratung des Projektteams sind in Team- und individueller Arbeit sieben Kurzfilme und ein, das Projekt begleitender, Dokumentarfilm entstanden. Ursprünglich war geplant, dass jeweils zweier Teams an einer Filmidee arbeiten. Nach der Ideenfindungsphase wurde jedoch deutlich, dass viele Teilnehmende an einer eigenen Idee arbeiten wollten. Um diesem Wunsch gerecht zu werden wurde entschieden Einzelprojekte zu starten, diese jedoch mit der Unterstützung der ganzen Gruppe umzusetzen. 

Die Ausstellung

In einer Ausstellung vom 21.-30.Juni 2019 im Bunker K101 in Ehrenfeld haben wir unser Projekt der Öffentlichkeit präsentiert. Mit unserer Projektpräsentation hatten wir nicht zum Ziel lediglich abgeschlossene Produkte zu zeigen, vielmehr war es uns wichtig, den Prozess unserer künstlerischen und diskursiven Arbeit zu zeigen und mit Besucher*innen darüber ins Gespräch zu kommen. Ein Film entsteht im Kopf mit der Idee, dann folgt die Umsetzung. Um einen Film zu gestalten, benötigt es einiges: Recherche, Planung, den richtigen Ort, Protagonist*innen, technisches Equipment und Know-how, und Zeit. Dazu noch den Mut, neues auszuprobieren und zu lernen. Und eventuell auch zu scheitern. Um diese Prozesse offen zu legen, haben wir neben den sieben entstandenen Kurzfilmen auch ergänzende Installationen und unsere Storyboards ausgestellt. Auch wertvolle Projekte die aufgrund diverser Faktoren, wie Zeitmangel oder anderen Schwierigkeiten, nicht komplett umgesetzt werden konnten hatten somit ihren berechtigten Platz in unserer Projektvorstellung. Da das Archiv von DOMiD e.V. für unsere Ideenfindung von großer Wichtigkeit war, haben wir gemeinsam mit unserem Kooperationspartner eine Ausstellung von Fotografien einiger Objekte konzipiert und in unsere Projektpräsentation integriert. Zudem zeigten der Dokumentarfilm und eine Foto- und Bücherecke den Ablauf und die Thematik unserer Workshops. Die Besucher*innen waren eingeladen, ihre eigenen (Film-)Ideen an einer Pinnwand zu teilen. 

Auch war uns wichtig, in der Ausstellung deutlich zu machen, dass unsere Diskussion über das Thema “Heimat” in einer postmigrantischen und diversen Gesellschaft gerade erst begonnen hat. Unsere Geschichten befinden sich im Entstehungs- und Weiterentwicklungsprozess. Mit einem ausführlichen Rahmenprogramm haben wir die Ausstellung genutzt, um mit den Besucher*innen ins Gespräch zu kommen und neue Denkanstöße zu geben: So wurden sowohl der Dokumentarfilm zu unserem Projekt als auch die Beiträge der einzelnen Teilnehmer*innen, jeweils verbunden mit einem Q&A, vorgeführt. Bei einem Filmabend mit dem Regisseur Halit Ruhat Yıldız wurden Arbeiten von Studierenden der Kunsthochschule für Medien (KHM) in Köln gezeigt, die sich - so wie unsere Kurzfilme - mit Prozessen der Heimatsuche zwischen der Türkei und Köln auseinandersetzen. Ein anschließendes Akustik-Konzert zweier Musiker aus der Türkei ergänzte einen bereits durch die Kurzfilme gewonnenen emotionalen Zugang zum Thema. 

Unsere Diskussionsrunde zum Thema „Heimatgestaltung als kreativer Prozess” wurde durch Impulse aus der Forschung durch Studierende der Universität zu Köln, aber auch aus der Praxis von einem unserer Projektteilnehmenden sowie einer Studentin aus Ecuador angestoßen. Die Besucher*innen nutzten diese Gelegenheit zu einem lebhaften, kritischen und nachdenklichen Austausch über die Vielfältigkeit des Heimatbegriffs. 



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